Ein weites Feld

Romane, Features, Lesung, Hörspiel & Co.
Im Unterschied zum Buch sind beim Hörbuch – mit mindestens 50 Prozent Wortanteil – neben dem Autor, dem oder den Sprecher(n), Regisseure, Komponisten und Tontechniker maßgeblich beteiligt. Das Hörbuch lebt von der Interpretation und ist immer ein „Weiterbringen des Textes“. Jede Geschichte findet ihre eigene Umsetzung.

Mittlerweile gibt es (leider) fast alles als Hörbuch. Renner sind Krimis, Kabarett, gesprochene Romane. Aber auch schwierige Titel wie z. B. Homers „Ilias“, gelesen von Rolf Boysen, werden bei Hugendubel gern gekauft.

Sachbücher aus den Bereichen Philosophie, Geschichte und Reisen sind bei ‚Parzival‘, dem seit 1998 auf Hörbucher spezialisierten Laden in München beliebt. Marktführer ist der Münchner Hörverlag, gefolgt von Random House Audio, Deutsche Grammophon, Lübbe Audio, Patmos, steinbach sprechende bücher, Der AudioVerlag, Hoffmann und Campe, Hörbuch Hamburg und Lido.

Kinderhörbücher

Eine Sonderstellung nehmen Kinderhörbücher ein. Alle größeren Verlage führen sie in ihrem Sortiment. Kein Wunder, denn dieses Segment wächst am schnellsten. Einer der ältesten Verlage ist Jumbo Medien; seine Titel finden sich häufig auf der hr2-Hörbuch-Bestenliste. Klassiker wie „Urmel“ (Patmos), vielstimmig von Dirk Bach interpretiert, oder „Pu der Bär“ von A. A. Milne (Kein & Aber), gesprochen von Harry Rowohlt, hören auch Erwachsene mit Begeisterung. Und wer erinnert sich nicht gerne an die Stimme von Hans Paetsch, den legendären Märchenonkel! Bei Hörcompany gibt es Lesungen mit ausgezeichneten Sprechern und auch Literatur für Jugendliche. Headwood präsentiert die Reihe „Abenteuer und Wissen“ und Ucello bietet viele Hörbücher musikalisch untermalt und mit pädagogischem Begleitmaterial. Alles in Allem steckt in diesen Produktionen sehr viel Mühe, Liebe und Erfahrung.

Romane, Features, Thriller

O-Töne in Reinform sind das Metier des supposé Verlags aus Köln. Klaus Sander bringt seit einigen Jahren Interviews, Reden und Vorträge von Wissenschaftlern wie z. B. Albert Einstein, Albert Hofmann (Erfinder des LSD) oder Joseph Weizenbaum etc. im Originalton heraus. Aber auch leichtere Kost verarbeitet O-Töne. Unüberhörbar auf den zahlreichen Hörbüchern, die zur Fußball-EM erschienen sind! Bei Sachhörbüchern sind Originaltöne ohnehin ideal, weil sie Authentizität vermitteln. Und im Bereich akustische Reiseführer ist der O-Ton das Mittel der Wahl. Geophon beispielsweise führt inzwischen mehr als zehn auf diese Art produzierte Titel.

Romane, ungekürzt und von hochkarätigen Sprechern interpretiert, charakterisieren den Verlag steinbach sprechende bücher. Der brasilianische Kultautor Paulo Coelho, Helge Timmerberg Stories oder das Hörspiel-Juwel „Die Entdeckung der Farbe“ über die Tunisreise der Maler Paul Klee und August Macke gehören genauso zum Programm wie „Briefe an Vanessa“ von Jeremy W. Hayward.

Brillante Hörspiele und Features sind das Markenzeichen des Audio Verlags. An dem 1999 als Hörbuchlabel der Rundfunkanstalten gegründetem Verlag ist ganz frisch der „Spiegel“ mit 25 Prozent beteiligt. Dank der engen Zusammenarbeit mit Sendern kann man beim DAV einfach ältere Hörspiele auf den Markt bringen. Das Feature über Che Guevara von Ursula Voss wurde in diesem Jahr in der Kategorie „Beste Information“ mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet. DAV-Produkte sind an den aufwändig produzierten ‚Digipacks“ aus Karton und den gut gemachten, informativen Booklets leicht zu erkennen.
Eine Kooperation zwischen dem Hörverlag und dem Hessischen Rundfunk kommt gerade auf den Markt. Der erste Teil (6 CDs) des 24-stündigen Mammut-Projekts „Otherland“ von Tad Williams wird als größtes Hörspielprojekt der Radiogeschichte angepriesen. In seiner Zeit wahrscheinlich ein noch größeres Vorhaben – Alexander von Humboldts „Kosmos“ – erscheint gerade in „Die andere Bibliothek im Ohr“ bei Lido, dem Hörbuchverlag von Eichborn. Auch nicht gerade unbedeutend ist die aktuelle Produktion von Hörbuch Hamburg. Eine herausragende Sprecher-Crew liest erstmals in deutscher Übersetzung das arabische Original von „Tausendundeine Nacht“.

Meister im Fach Thriller, Krimi und Horror ist Lübbe Audio. Mit seinen Sinclair-Hörspielen – mittlerweile gibt es 31 Folgen – hat der Verlag die magische Grenze von einer Million verkaufter Auflage überschritten. Eine echte Sensation im Hörbuchmarkt, wo Auflagen zwischen 1.000 und 10.000 Stück, das ist dann schon viel, üblich sind. Zum besseren Verständnis: Ein Hörbuch verkauft sich 2.000-mal, das Buch 20.000-mal. Spätestens seit den viel beachteten Poe-Hörspielen hat Lübbe sich vom „Trash-Image“ verabschieden können. Simon Bertling und Christian Hagitte, die Macher der Berliner Produktionsfirma Stil, führten bei den Hörspielen Regie und haben die Musik (mit Ausnahme des Titelsongs von Heinz Rudolf Kunze) gemacht. Von den Poe-Adaptionen mit Ulrich Pleitgen in der Hauptrolle des an Amnesie leidenden Edgar Allan Poe wird es im Dezember neue Folgen geben. Obwohl dieses Projekt erfolgreich ist, weiß Kerstin Kaiser, die Programmlektorin, „dass man genügend Eigenkapital haben muss für so eine Produktion.“

Idealismus und Ausdauer

Es gibt viele kleine Verlage, die mit viel Energie und Enthusiasmus, teilweise seit Beginn der Hörbuchzeit in Deutschland, arbeiten. Der Solo Hörbuchverlag in Berlin ist ein Beispiel. Dr. Josephine Schröder-Zebralla startete mit ihrem Verlag bereits 1991. Als Fan von Kurzgeschichten spezialisierte sie sich auf die „kleine Form“, natürlich auch, weil die in der Produktion billiger ist. Das erste Hörbuch, drei Tschechow-Geschichten, las ihr Vater, der Schauspieler Ernst Schröder. Mit Dietmar Mues, Hannelore Hoger, Peter Simonischek, Klaus Löwitsch und Nina Hoss ging es dann weiter … Unterm Strich bleibt nach den Produktionen – im Programm sind Lesungen von Franz Kafka, John Irving, Oscar Wilde oder David H. Lawrence – so gut wie nichts übrig. Warum sie trotzdem weiter macht, auch wenn es für kleine Verlage immer schwieriger wird z. B. an die Urheberrechte zu kommen? „Ich mach’s einfach gerne. Ich bin gerne mit Schauspielern zusammen, bin gerne mein eigener Lektor und Regisseur!“ Szenenwechsel nach München: Jan Köster, seit über zehn Jahren als Hörbuchverleger tätig, geht es ähnlich. Sein Label NoaNoa enthält Perlen wie den Lebensmonolog Heinrich von Kleists, in dem die Briefe des Dichters kongenial von Ulrich Matthes interpretiert werden oder Arthur Rimbauds Gedichte, rezitiert von Jens Harzer. Starke Schauspielerpersönlichkeiten sind Kösters Medium. Der Schauspieler nutzt seine Erfahrungen und Beziehungen, um „in unserer bildlich überfluteten Welt den Menschen wieder zum Zuhören zu bringen!“

Lesung, Hörspiel und Co.

Es gibt unterschiedlichste Produktionsarten beim Hörbuch. Was eine Lesung, ein Hörspiel oder Feature ist, dürfte den meisten ein Begriff sein. Hörstück oder inszenierte Lesung schon weniger. Damit die Verwirrung nicht ganz so groß ist, hier einige Erläuterungen:

•    Klassische Lesung oder Rezitation
Ob gekürzt oder nicht gekürzt, die Lesung steht und fällt mit dem Schauspieler (Sprecher); entweder ist er künstlerisch gut und kann eine Geschichte so interpretieren, dass er den Subtext zum Leben bringt, oder er kann es nicht.

•    Hörstück
Produktionen, bei denen zusätzlich zum Text Zutaten wie z.B. Musik oder Geräusche verwendet werden. Es gibt Texte, die erst im Dialog, aber immer noch in der Form einer Lesung, interessant werden. Ideal für das erzählte Sachbuch, wo ein Text dialogisch und diskursiv von zwei oder drei Sprechern vorgestellt wird. Patricia Cornwells Porträt über ‚Jack the Ripper‘ ist ein gutes Beispiel. Die beiden Sprecher Franziska Pigulla und Stephan Benson erzeugen im Wechsel eine lebendige Auseinandersetzung mit dem Thema. Hörstücke sind der Feature-Technik ähnlich.

•    Inszenierte Lesung
Das interessanteste Feld für Schauspieler. Hier können sie Figuren mit verstellten Stimmen ancharakterisieren. Es gibt aber noch immer einen Erzähler, der durch die Geschichte führt.

•    Hörspiel
Dramatisierung und radikaler Eingriff in einen Text. Dialoge werden herausgeschält, es bleiben Erzählfragmente übrig, Musik, Klänge und Geräusche werden zu konkreten ästhetischen Erzählkomponenten.

An dieser Stelle sei Wolfgang Stockmann – bei Hoffmann und Campe verantwortlich im Bereich Hörbuch – gedankt. Die Übersicht basiert großteils auf seinen Ausführungen. Stockmann war lange als frei schaffender Bühnenregisseur tätig und Mitinhaber des Labels „Voices Editionen“, das heute bei steinbach sprechende bücher geführt wird.

veröffentlicht auf wissen.de, Oktober, 2004