Hinter den Kulissen

Wie ein Audiobook entsteht!

Bis zu drei Monate kann die Produktion einer Hörbuch-Lesung dauern. Ein geübter Sprecher schafft im Studio fünf bis sechs Stunden konzentriertes Lesen, am Stück liest ein Profi zwanzig Minuten ohne großartige Versprecher. Lizenzen, Honorar, Kürzungen und Bearbeitungen, Regie, Tonstudio und Technik, nicht zu vergessen Grafik, Bilder und Fotorechte sind die zentralen Kalkulationsfaktoren. Kurzum: Bis ein Hörbuch fertig ist, müssen mehrere Arbeitsschritte vollzogen werden.

Schritt 1: Rechte und Textbearbeitung

Entscheidend für die Produktion eines Hörbuchs ist die Frage, ob man z. B. einen Roman gekürzt oder ungekürzt lesen lässt. Gekürzte Fassungen müssen vom Autor oder der Agentur freigegeben werden. Bei nicht deutschen Titeln kann sich dieses Genehmigungsverfahren hinziehen. Noch ein anderer Aspekt spielt eine Rolle: Will man ein Printwerk von 500 Seiten ungekürzt auf CD bringen, benötigt man bei einer Sprecherleistung von zwei Minuten pro Seite 1.000 Minuten, sprich 12 CDs. Der ‚normale‘ Verkaufspreis würde im Vergleich zum Buch – 6 CDs kosten in der Regel zwischen 25 und 29 Euro – höchst unattraktiv ausfallen.

Schritt 2: Wahl des Sprechers

Bestimmende Kriterien bei der Wahl sind zum einen Erzähltyp und Charakter des auktorialen Erzählers, zum anderen Stimmlage und Persönlichkeit des Sprechers. Der Prominentenfaktor kann manchmal, sollte aber nicht zwingend eine Rolle spielen. In erster Linie zählt die künstlerische und handwerkliche Fähigkeit. Für Michael Then, bei Random House für das Hörbuch verantwortlich, ist die Modulationsfähigkeit eines Sprechers entscheidend. „Das Timbre so zu legen, dass Gänsehaut vor Angst oder vor erotischer Spannung entsteht.“

Schritt 3: Vorarbeit

Selbstverständlich muss der Sprecher den ganzen, ungekürzten Text kennen. Der Regisseur bespricht mit ihm die Form und in groben Zügen die Interpretation. Etwa zwei Wochen vor den Studioaufnahmen erhält der Sprecher den bearbeiteten Text in einer lesefreundlichen Fassung (16 Punkt Schriftgröße, zweizeilig). In diesem Strichmanuskript kann er sich Hebungen, Senkungen, Pausen und dramaturgische Effekte notieren. Kürzungen muss er bei seiner Lesung berücksichtigen.

Im Klartext heißt das, wenn in einer Geschichte eine Frau Witwe geworden ist, dies aber gekürzt wurde, muss der Sprecher mit seiner Stimme die Figur adäquat interpretieren. Im Normalfall sollte er die Frau dann also nicht unbedingt heiter und ausgelassen sprechen!

Schritt 4: Im Studio

Endlich, es geht los! Banale Störfaktoren wie Ketten, Ringe und Uhren wurden beseitigt, der Kragen geöffnet, sonst könnte der Bart rascheln. Ein Problem, mit dem viele Sprecher zu kämpfen haben, ist das Absinken des Kopfes bei fortschreitender Lesedauer. Ergebnis: Die Stimmlage geht nach unten. Etwa eine Stunde kann sich der Sprecher einlesen und, anders als auf der Bühne, wird nur zweimal geprobt… Wie bereits erwähnt, kann ein Profi um die 20 Minuten am Stück und maximal fünf bis sechs Stunden pro Tag konzentriert lesen. Wenn zwei oder mehrere Sprecher einen Text interpretieren, muss je nach Fassung entschieden werden, ob sie gleichzeitig im Studio sind, oder ob man getrennt aufnimmt. Simultanes Aufnehmen empfiehlt sich bei schnell wechselnden Parts, wenn die Sprecher stark aufeinander reagieren müssen. Stichwort O-Töne. Geräusche oder Musik können die Lesung ‚aufpeppen‘. Man kann auch mit der Originalsprache spielen. Bei „Absolute Freunde“ beispielsweise von John Le Carré hört man neben Achim Höppner am Anfang jedes Kapitels die englische Original-Lesung vom Autor selbst.

Schritt 5: Schneidearbeit

Nach dem Studio folgen ungefähr 14 Tage Schneidearbeit. Liveaufnahmen, vor allem bei akustischen Reiseführern oder Porträts von Städten eingesetzt, werden im Studio montiert.

Schritt 6: Artwork

Zum Schluss muss noch das Artwork, also Grafik des Covers und eventuell ein Booklet mit Hintergrundinfos zu Autor, Sprecher, Regie etc. gemacht werden. Das Glasmaster, das wertvolle Unikat, von dem 1 + N-Kopien gezogen werden können, ist das Endprodukt. Ein Hörspiel zu produzieren ist viel aufwändiger als eine Lesung. Die Studio-Produktion eines Hörspiels, das zwei CDs von je 80 Minuten ergibt, dauert etwa vier Wochen. Für große Projekte beispielsweise für die Edgar Allan Poe-Hörspiele von Lübbe war die Berliner Produktionsfirma Stil eineinhalb Jahre beschäftigt. Von der Idee bis zur fertigen CD, vom Skript, von der Zusammenstellung der Sprecher über die Komposition der Musik und die Regie – das braucht Zeit. Die Folgetitel produziert man dann in etwa drei Monaten. Grundsätzlich gilt für alle Verlage: Wenige Bestseller – bei Random House aktuell das „Rilke-Projekt“, bei Lübbe Sinclair und „Die Säulen der Erde“ von Ken Follett, beim Hörverlag ohne Zweifel Harry Potter – müssen viele künstlerisch schöne Produkte finanzieren.

veröffentlicht auf wissen.de, Oktober 2004