INTERVIEW mit Franziska Pigulla

Interview mit Franziska Pigulla

Franziska Pigulla! Demi Moore in „Ein unmoralisches Angebot“, Sharon Stone in „Begegnungen“ oder Gillian Anderson aus „Akte X“ – die deutsche Stimme dieser Schauspielerinnen sind Sie! Daneben zählen Sie mittlerweile zu den gefragten Sprechern von Hörbüchern. Was reizt Sie an der Arbeit mit diesem Medium?

Zuerst einmal reizt mich an meiner Arbeit die Vielfalt. Wenn man Synchron, Kommentar, Radio und Hörbuch macht, ist das natürlich sehr abwechslungsreich, es wird selten langweilig. Dabei lässt die Arbeit für das Hörbuch die größtmögliche künstlerische Freiheit.

Stichwort Geisterjäger John Sinclair. Mittlerweile ist Folge 31 auf dem Markt. In dieser Gemeinde befinden sich ja Ihre treuesten Fans. Wie kam es zu dieser Besetzung in einem ganz spezifischen Genre – ich spiele jetzt natürlich auch auf Ihre Synchronarbeit als Scully in „Akte X“ an. Gibt es eine persönliche Vorliebe für dieses Genre?

Die „X Files“ waren sicherlich ausschlaggebend für meine Besetzung bei den Sinclair-Hörspielen. Ich habe allerdings tatsächlich eine persönliche Beziehung zu den von Jason Dark geschriebenen Sinclair-Geschichten. Als ich mit 10 Jahren nach Berlin zog, kaufte ich alle Groschenhefte von Jason Dark. Etwa ein Jahr lang verschlangen meine Freundin Kerstin und ich alles, was wir kriegen konnten.

Gespenster-Krimis und Grenzfälle ist das eine, Sie lesen aber auch hervorragend ganz andere Sachen. Anaïs Nins Tagebuch „Henry, June und ich“ brachte Ihnen im Mai eine große Ehre ein. Ihre Arbeit wurde zum ‚Hörbuch des Monats‘ vom Seminar für Allgemeine Rhetorik der Tübinger Uni gekürt. Sind Sie darauf stolz?

Ja, schon! Als ich die Pressemitteilung las, dachte ich, was ist jetzt los. Moment mal, ganz ruhig bleiben. So etwas hatte ich überhaupt nicht erwartet! Und da ich Dominik Graf, der etwa zur gleichen Zeit mit seiner Lesung von Henry Millers „Stille Tage in Clichy“ herausgekommen war, sehr verehre, war meine Verwunderung über die Auszeichnung um so größer. Also kurzum: Ich habe ganz bewusst das Belegexemplar in den CD Player gelegt und mir zugehört. Normalerweise brauch ich Distanz … Wenn du nur deine eigene Stimme hörst, ist das ein sehr intensives Wahrnehmen der geleisteten Arbeit … Aber dann wusste ich, ja das ist mir gelungen, das ist gut!

Ihre erotische Stimme ist gerade bei diesem Text mit Sicherheit die halbe Miete. Sie haben es darüber hinaus geschafft, dramaturgisch die manchmal sehr klischeehaften Ausführungen der manischen Tagebuchschreiberin authentisch rüberzubringen. Hat die Arbeit Sie angestrengt?

Ich habe als Teenager Kurzgeschichten von Anaïs Nin gelesen. An dieses Tagebuch bin ich ehrlich mit der Unbefangenheit eines Kindes gegangen. Man könnte sagen, ich bin mit Anaïs auf diesen Trip gegangen. Vor Anaïs Nin habe ich bereits ein Hörbuch mit dem Titel „All die schönen Sünden“ von Bettina Hesse gelesen. Das sind erotische Geschichten von relativ unbekannten AutorInnen.

Man glaubt, in Ihrer Stimme die Verunsicherungen, das Gefangensein in der Liebe z. B. zu June zu hören. Überhaupt klingt Ihre Interpretation, als würden Sie teilweise erst beim Sprechen die Tonlage für die Protokolle der berühmt berüchtigten Schriftstellerin entwickeln und finden.

Ja, das stimmt. Ich muss aber sagen, dass mir inhaltlich der Grad der Bewusstheit dieser Frau, ihre Selbstbeobachtung und ihre sprachlichen Fähigkeiten sehr imponiert haben.

Zu Ihrem persönlichen Repertoire gehört das besondere, das sinnliche Timbre Ihrer Stimme – abgesehen davon, was zeichnet Ihrer Meinung nach einen guten Sprecher aus?

Das innere Gefühl beim Hörbuchlesen. Er muss Respekt haben vor dem, was er liest. Einer meiner absoluten Favoriten ist Otto Sander! Auf mich selbst bezogen glaube ich zuerst einmal, dass ich ein Gespür für Sprache habe. Und dann, dass ich mich in einen Text fallen lassen kann. Ich sehe es analog zu dem Wort ‚I am a camera‘, d.h. in dem Moment, wo ich lese, gehe ich mit. Im Studio lasse ich mich auf die Geschichte neu ein und staune, während ich lese.

Ich möchte noch einmal auf das Genre ‚unaufgeklärte Fälle‘ zurückkommen. Zu den berühmtesten Fällen zählt „Jack the Ripper“. Sie haben mit Stephan Benson Patricia Cornwells Porträt des Killers gelesen. Glauben Sie persönlich, dass Walter Sickert, der in München geborene viktorianische Maler, Jack the Ripper ist?

Ich kann die Frage nicht abschließend beantworten. Immerhin hat Patricia Cornwell mit diesem ehrgeizigen Projekt die Diskussion um diesen Mörder neu entfacht. Aber auch die Hintergrundinfos über London, die Situation der Prostituierten finde ich sehr beeindruckend. Die Clip-Clap-Technik, also der schnelle, knallharte Wechsel zwischen Stephan Benson und mir hat die Spannung nur noch mehr angeheizt.

Wie sehen Ihre Pläne aus? Werden Sie weiter Hörbücher lesen?

Ja, auf jeden Fall. Meine Stärke liegt darin, Dinge weiterzuentwickeln. Darüber hinaus habe ich zwei Texte im Kopf, die ich unbedingt lesen möchte.

Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei der Realisierung! Vielen Dank für das Gespräch.

Porträt

Am 6. Mai 1964 wird Franziska Pigulla in Neuß geboren. Der Vater ist der Schauspieler Rainer Pigulla. Mit 10 Jahren zieht die Familie nach Berlin. //Geprägt vom Elternhaus, steht für Franziska fest, dass sie Schauspielerin wird. Nach dem Abitur folgt ein halbherziges Germanistikstudium. //Während der Schauspielausbildung in London moderiert sie das Wochenendprogramm bei BBC. Im Herbst 1989 geht sie nach Berlin zurück: Ihr Ziel ist das Theater. //Die Wende bringt Franziska viele Aufträge. Ihre tiefe Stimme ist bei den Sendern RIAS und SFB gefragt. Beim RIAS TV wie bei Deutsche Welle TV spricht sie Nachrichten. //1996 bis Mitte 1997 absolviert sie bei ntv eine erbarmungslose Lehre, lernt dabei aber das Geschäft der Nachrichtenmoderatorin. //Ab 1997 ist sie die deutsche Stimme von Dana Scully alias Gillian Anderson aus „Akte X“. Zahlreiche Synchronisationen ausländischer Schauspielerinnen u. a. Demi Moore, Fanny Ardant, Lena Olin, Sharon Stone. //Seit 1998 ist Franziska Pigulla eine gefragte Hörbuch-Sprecherin. Ihre ersten Arbeiten waren „Nirgendwo in Afrika“ von Stefanie Zweig und „Ruinen“ von Kevin J. Anderson. //Franziska ist Stier, erdverbunden und zäh. Tief im Herzen ist die lebhafte, temperamentvolle und intensive Frau – wie sie selbst betont – noch immer Rheinländerin. Trotzdem lebt sie gerne in Berlin.