Oberpfälzer Jedermann

Oberpfälzer Jedermann Buhlschaft

Pressefoto © Stadt Tirschenreuth

Jedermanns Ego stirbt

Hofmannsthals Klassiker „Jedermann“ wird in der brillanten oberpfälzer Fassung zum sinnlichen Genuss und nachdenklichem Theaterstück über das Leben und die Frage, wer will ich sein. In der hauptsächlich im Dialekt gehaltenen Inszenierung begegnet Jedermann Aspekten seines eigenen Lebens, seinem Selbst und kann im Hier und Jetzt neu beginnen.

Authentisch & direkt: Dialekt

Gleich vorweg: Auch wenn man bei dieser Aufführung nicht alle Worte versteht, dem sinnlichen Theater-Erlebnis tut dies keinen Abbruch. Schließlich sprechen die Schauspieler im „Oberpfälzer Jedermann“ zu einem ganz großen Teil im Dialekt. Und diese Mundart ist in der Tat oftmals starker Tobak. Doch gerade das macht die Inszenierung von Stefan Tilch so spannend, so lebendig. Die pralle Sprache in der Textfassung von Johannes Reitmeier unter der gewaltigen oberpfälzer Bearbeitung von Manfred Grüßner und Marianne Stangl schenkt der pseudo-mittelalterlichen Kunstsprache von Hugo von Hofmannsthal die Würze und Echtheit. Man spürt, dass die Laiendarsteller wissen, was sie sagen, es kommt von innen, ist absolut authentisch wie Stefan Tilch es formuliert. „Spieler und Text bilden eine völlig natürliche Einheit. Jede Zeile kann mit absoluter Direktheit und Bedeutung gesprochen werden.“

Oberpfälzer Jedermann © Stadt Tirschenreuth

Unterm Strich: Ein pralle, sinnliche Darstellung, brillant inszeniert von Stefan Tilch und Gaby Saller, Regie-Assistenz. Großartig gespielt von unglaublich engagierten Tirschenreuthern Schauspielern, musikalisch beeindruckend von Jakob Schröder untermalt, mit einem professionellen Bühnenbau von Anton Berr. Alles in allem eine Glanzleistung der Theaterstadt Tirschenreuth, einem Ort, an dem, wie Tilch es formuliert, „alles möglich gemacht wird“.

Überraschendes Ende des Klassikers

„Das Sterben des reichen Mannes“ mit seinen Allegorien vom Tod, vom Mammon, von den Werken, den Guten Werken im christlichen Sinn, und dem Glauben ist zeitlos, rührt seit Jahrhunderten die Menschen an. Jedermann ist in der Tat jedermann, jeder von uns erkennt sich in der Hauptfigur wieder. Jeder erkennt auch in den Partygästen, in den Vettern, im Gesell diejenigen, die sich um den mit Geld und Macht scharen, ihm zujubeln. Followers gibt es auf der ganzen Welt, in München wie auch in Tirschenreuth: Sie sind Lakaien, klatschen Beifall, schmieren Honig ums Maul … Nicht weniger aktuell am Stoff ist die Kapitalismuskritik in den Szenen mit dem armen Nachbarn und dem Schuldknecht samt Frau und Kindern. Wer sich verschuldet, wird von der Security in den Kerker geworfen. Um die Kinder und die Frau kümmert sich der honorige, erfolgreiche Lebemann. Würde er anders agieren, käme das System von Wirtschaft und Geldfluss ins Schwanken. Ohne Reichtum, ohne unermesslichen Überfluss auf der einen Seite scheint die Welt nicht zu funktionieren.

Florian Winklmüller gibt absolut überzeugend den mitten im Leben stehenden, agilen, sexuell zügellosen Mann, der sich gerne feiern lässt. Geschäftigkeit ist sozusagen sein Lebenselixier, bis zu dem Moment, wo das Partymachen nicht mehr so recht gelingen will. Nichts hilft, um seine Feierlaune wieder herzustellen, kein Alkohol, keine Drogen, kein Sex. Er hört das Sterbeglöckchen, begegnet dem Tod. Der erlaubt ihm, jemanden zu finden, der ihn auf die letzte Reise begleitet. Doch in der Weihrauch-geschwängerten Atmosphäre will sich niemand finden: nicht die Geliebte, nicht die Verwandtschaft, nicht einmal sein Geld, das ihm doch wirklich gehört. Auf der Suche nach den rechten Freunden kann Jedermann sich der Frage „Wer bin ich denn?“ nicht mehr erwehren.