Gefährliche Liebschaften im Gärtnerplatztheater in München

Liebe ist gefährlich

Im Gärtnerplatztheater will der Applaus für das Musical „Gefährliche Liebschaften“ von Choderlos de Laclos nicht enden … Das Spiel um Liebe und Macht, das kurz vor der Französischen Revolution zwei Tote und eine Schar von verderbten Unglücklichen zurücklässt, zieht das Publikum fast magisch in den Bann. Einprägsam wird die Kriegserklärung der Protagonisten, die Marquise de Merteuil und der Vicomte de Valmont, einst ein Liebespaar in Szene gesetzt. Mit einer hervorragenden Besetzung und einer Musik, die dem Publikum hilft, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden in dieser auf Täuschung und sich Verstellen arrangierten Gesellschaft.

Herrschaft des Verstandes

Verführung ist das zentrale Thema. Perfekt darin sind Valmont und Merteuil, zwei eiskalte Libertins, deren Streben nach Macht in der absoluten Beherrschung ihrer Mitmenschen liegt. Konkret geht es um eine Wette, der Preis ist eine erneute Liebesnacht. Madame Tourvel, eine verheiratete tugendhafte Frau soll von Valmont verführt werden, die andere, ein junges, gerade aus dem Kloster entlassenes Mädchen soll von ihm entjungfert werden. Mit diesem Coup will die Marquise de Merteuil den Comte de Gercourt, einen ehemaligen Geliebten und zukünftigen Ehemann von Cécile zum Gespött von tout Paris machen. Getreu ihrem Motto, dass „Liebe uns schwach macht“.

Exakt das widerfährt Tourvel. Neben den Marionetten, die im Intrigenspiel, im gesellschaftlichen Müßiggang mitmachen, ist sie ein willkommenes Opfer. Am Ende kann sie sich ihrer Liebe zu Valmont nicht mehr erwehren. Zum Verhängnis wird ihr ihre unterdrückte Sinnlichkeit, aber auch ihr moralischer Dünkel. Kurzfristig wird das Konzept „Stark wie der Tod ist die Liebe“ zum Hoffnungsschimmer für das Liebespaar Tourvel und Valmont. Doch die Marquise, die Meisterin der Liebesspiele, ist schlau genug zu merken, dass Valmont echte Gefühle hegt. Und sie spürt, dass sie eben dies am meisten trifft. Am Ende wird aus einer dämlichen Wette eine Tragödie, in der zwei, die sich mal geliebt haben, zu Todfeinden werden. Mit dem Ergebnis, dass Valmont sich im Duell töten lässt und Tourvel Selbstmord begeht. Cécile wird die Nachfolgerin der Merteuil werden, und Danceny wird das System der Merteuil, aus dem weder Valmont noch die Marquise selbst aussteigen konnten, öffentlich machen.

alle Fotos © Thomas Dashuber

Machen wir uns die Welt untertan

Verführt wird hier nur um des Siegs willen. Dabei spielt das Wissen die entscheidende Rolle; gepaart mit rhetorischem Talent und psychologischem Scharfsinn entsteht Macht… Und die hat immer Hochkonjunktur.

Es dreht sich viel um Sex, hart an der Grenze zum Porno. Perfekt im sich drehenden Bühnenbild mit Spiegel inszeniert. Erst ist es Zeitvertreib, dann ist es eine Schlacht um Macht, die auf den Körpern ausgetragen wird. Nur wer völlig verderbt ist, bleibt nicht auf der Strecke.

So häufig die Sex-Szenen im ersten Akt das Publikum mitreißen, so selten findet sich dieses Szenenso im zweiten Akt. Wenn es um den Tod (Duell, Suizid) geht, wenn die Maske der Verstellung fällt, steigt die echte Dramatik. Man könnte auch etwas altbacken sagen, wenn es um echte Gefühle geht …

Die Libertins erkennen, dass Sex hier nur aus Langeweile betrieben wird. In bester klassischer Dekadenz-Manier streben die Adligen nach dem ständig neuen Kick. Echte Gefühle sind in diesem Spiel nicht vorgesehen. Denn in dieser Gesellschaft, die – vor allem die Merteuil – so viel Wert auf die sexuelle Freiheit und Lust legt, schläft man niemals miteinander, ohne einen Hintergedanken im Kopf zu haben bzw. einem anderen etwas zufügen zu wollen.

Musiktheater als Gesamtkunstwerk

Warum hat ein Musical auf Basis eines Briefromans aus dem Rokoko diesen bemerkenswerten Erfolg? Dass der Stoff um Macht, Intrigen und Liebes/Spiel zeitlos attraktiv ist, liegt auf der Hand. Die zahlreichen Verfilmungen unter anderem mit John Malkovich, Glenn Close, Michelle Pfeiffer und Uma Thurman von Stephen Frears oder mit Jeanne Moreau und Gérard de Philipe von Roger Vadim verdeutlichen das Interesse. Neben dem Kino wurde der Stoff als Schauspiel, Ballett und Oper inszeniert. Und jetzt als Musical, das immerhin fünf-mal ausgezeichnet wurde. Was ist die Zauberformel des Erfolgs? Zumindest ein Grund dürfte das gelungene Zusammenspiel sein: Die raffinierte Musik und die glaubwürdigen Dialoge von Marc Schubring und Wolfgang Adenberg, die Choreografie und Co-Regie von Adam Cooper, das bereits erwähnte Bühnenbild, die Regie und Dramaturgie von Josef E. Köppinger und Michael Alexander Ritz … und natürlich die brillanten Solisten, alles geht hier Hand in Hand.

Das zeitlose Moment des Intrigierens, das in der aristokratischen Gesellschaft des Rokoko im Sich-verstellen und Täuschen perfektioniert wurde, bricht die Musik an diesem Abend im Gärtnerplatztheater auf. Das was nicht gezeigt, ausgesprochen wird, offenbart der Klang der Musik. Immer wenn die Handlungen der Tragödie ein Stück näher kommen, erlebt das Publikum im brillanten Gesang das unvermeidbare Nahekommen der Tragödie, eindrücklich untermalt durch die Musik und den Chor.

Armin Kahl als Valmont, Anna Montinaro als Merteuil, Julia Klotz als Tourvel, Anja Haeseli als Cécile, alle am Musical Beteiligten lassen die Besucher mit allen Sinnen spüren, dass das Spiel mit der Liebe gefährlich ist.

Meisterin des Täuschens

Die Marquise ist die intelligenteste, raffinierteste Figur in diesem Netz aus amourösen Spielen. Der Schlüssel zu ihrem Leben ist der 81. Brief im Roman: Hier erzählt sie, dass sie – anders als die meisten Mädchen aus dem Adel – nicht im Kloster war und keine gute Freundin hatte, dass sie um jeden Preis wissen wollte, dass ihr Freiheit sehr wichtig war. Sie studierte, was es heißt, Macht über Menschen zu haben, indem man ihr Geheimnis kennt. Diese Frau beherrscht die Kunst zu wissen, „was man tun kann, was man denken soll, und was scheinen“. Ihr Freiheitsbegriff definiert sich als Freiheit von etwas, nicht jedoch als Freiheit für etwas. Und diesem Sinne darf man sehr wohl an ihrer Weisheit zweifeln. Sie beherrscht sich so weit, dass sie den Plan durchspielt, einen potenziellen Gegner aus der Schar ihrer ehemaligen Geliebten lächerlich zu machen bzw. ihn zu verleumden – bevor er über sie die Wahrheit aussprechen kann. Dass in diesem Lebensverständnis Liebe keinen Platz hat, ist nur logisch. Ironischerweise wird ihr selbst die Liebe in Valmont zum Verhängnis.

Ein Ehrgeiziger prangert an

Zugrunde liegt dem Musical der Briefroman „Les Liaisons dangereuses“ von Choderlos de Laclos. Der Roman erschien 1782 und sorgte durch seine offene und negative Darstellung der Gesellschaftsspiele „der feinen Leute“, der Pariser Oberschicht, sprich des funktionslosen Adels für einen Skandal. Der Autor, Choderlos de Laclos, seines Zeichens ein erst vor Kurzem in den Adelsstand erhobener Offizier verstand seinen Roman – wie er im Vorwort schreibt – als Lehrstück. Er stellt die zwei schonungslosen Libertins Valmont und Merteuil und ihr Streben nach Macht mittels absoluter Beherrschung ihrer Mitmenschen an den Pranger. Die Requisiten dieser Beherrschung sind eine tiergehende, psychologische Kenntnis und die Fähigkeit der Hypokrisie. Sie ermöglicht das überzeugende, glaubwürdige Spielen der ihnen zugewiesenen Rolle. Weit mehr als Valmont erweist sich die Marquise als intelligente, scharfsichtige und berechnende Menschenkennerin – die sich gottähnlich fühlt. Gottähnlich fühlt sich auch Valmont …

Laclos führte seine Attacke gegen den Hochadel aus Rache, aber auch aus Frust und Langeweile. Mit beeindruckend psychologischer Analyse unterfüttert, weist er auf die Folgen dieses Libertinismus  hin. Bereits damals rückte nicht diese Botschaft in den Fokus. Viel interessanter fanden die, die das Buch unter der Hand lasen, die Jagd auf weitere amoralische Manipulatoren. Da er als Nestbeschmutzer und Inbegriff der Morallosigkeit in der Folge gemieden wurde, suchte sich Laclos andere Beschäftigungen: als Revolutionsregime-General oder Redenschreiber für Robespierre. Und unter Napoleon konnte er zum ersten Mal in der Rheinarmee am Krieg nicht nur als Bürokrat mitwirken.